Ich fahre durch die Unterführung und komme an eine Ampel. Wenn ich zum richtigen Zeitpunkt komme erwische ich grün; wenn nicht, muss ich stehen bleiben.
Ich habe mal im Spiegel gelesen Psychologen hätten herausgefunden, dass Menschen nie so sehr das Gefühl haben nicht voranzukommen wie vor einer roten Ampel. Das muss sich mal einer vorstellen. Man studiert 12 Semester Psychologie und kommt zu einer solchen Erkenntnis.
Oder man studiert 12 Semester Journalismus und schreibt über Menschen die zu einer solchen Erkenntnis kommen.
Gut, dass ich BWL studiert habe. Da muss ich mir wenigstens nichts vormachen.
Die Ampel ist grün. Ich fahre rechts über die Brücke. Ich kann mir nie merken wie die heisst, obwohl mir jeder Taxifahrer der mich Freitag nachts zurück von der Suite fährt die Frage aufdrückt über welche Brücke er fahren soll. Ich weiss es nie. Deswegen bin ich ja kein Taxifahrer sondern nur ein besoffener Fahrgast mit einem Döner in der Hand.
Ich fahre über die Sonstwie-Brücke und komme zur Kreuzung an den Ring. Wieder rot.
An der Ecke ist ein Hauseingang mit einer grünen Tür.
Die Fenster sind verklebt mit einem bunten Plakat auf dem so etwas ähnliches steht wie
„Wollen Sie hier Werbung machen dann wählen sie 0621..“.
Ich habe da noch nie Werbung gesehen. Vielleicht sollte ich mal anrufen und den Leuten erzählen, dass da nie jemand Werbefläche kaufen wird. Stattdessen können die ja irgendwas Sinnvolles da aufhängen. Zum Beispiel einen Kalender. Oder ein Kochrezept. Oder ein Nacktbild von Angela Merkel. So werden die Leute wenigstens wach morgens.
Die grüne Tür geht auf. Aus dem Eingang kommt ein dicker Mann. Der Mann ist so dick wie ich selten einen Mann gesehen habe. Ich frage mich wie er sich überhaupt auf den Beinen halten kann. Er ist meistens um diese Uhrzeit hier. Er geht zum Kiosk um die Ecke und kauft sich eine Bildzeitung und ein paar Dosen Bier. Ich weiss das, weil ich manchmal vorbeikomme wenn er zurückkommt mit der Zeitung und dem Bier.
Ich frage mich, warum er so früh aufsteht. Er sieht nicht so aus als ob er seine Wohnung häufig verlässt.
Einmal im Juni habe ich ihn morgens mit einem Deutschland-T-Shirt gesehen. Das war so groß wie ein Zelt und sah schon so aus als hätte er es seit Anfang der WM getragen. Am Tag zuvor hatte Deutschland gespielt. Alle hatten Autofahnen. Ich hatte auch eine. Als der Mann an mir vorbeikam hupte ich. Erst sah er sich erschrocken um; dann lächelte er.

Es ist immer noch rot. Ich muss nur noch rechts abbiegen, dann bin ich bei der anderen Brücke nach Ludwigshafen und fast bei der Arbeit. Es sind quasi nur noch fünf Minuten dann sitze ich am Schreibtisch. Zehn Minuten von Tür zu Tür. Das ist unglaublich praktisch. Die Scheißampel ist immer noch rot. Ich gucke nach links. Ich bin noch nie links gefahren. Links ist die unbekannte Welt, mysteriös und verlockend. Ich frage mich was passieren würde wenn ich links fahren würde. Könnte ich jemals wieder zurück? In 12 Stunden ist man in Italien. Außer dass ich nicht nach Italien fahren will. Ich weiss nicht was ich in Italien sollte. Die Ampel ist grün. Ich fahre rechts.

Ich sitze in meiner Altbauwohnung und starre in meinen €2000,- Flachbildfernseher. In jedem Programm läuft Scheiße. 50 Programme und in jedem läuft Scheiße. Ich frage mich, warum jemand einen Flachbildfernseher für €2000,- kauft um Scheiße zu gucken.
Ich habe Mehrdad seit zehn Jahren nicht mehr gesehen. Vielleicht sollte ich ihn mal anrufen. Ich nehme den Hörer und wähle die Nummer der Auskunft. Ich lege wieder auf. Im Fernsehen läuft „Wer wird Millionär“.